Wir sind im letzten Jahrhundert durch die Tansporte mit Bahn und LKW verwöhnt worden. Wer erinnert sich noch an die Zeit, als Skorbut DIE Krankheit auf See war? Todesraten von mehr als 10 Prozent der Seeleute PRO JAHR! Wer erinnert sich noch daran, daß die Orange eine exotische Frucht war, die nur reichen Leuten vorbehalten war?
Wir sind verwöhnt.
Orangen und Zitronen sind Früchte, sind heute in jedem Supermarkt zu haben, 365 Tage im Jahr. Sie sind ganz normale Lebensmittel und für fast jeden erschwinglich. Ganz sicher erschwinglich für jemanden, der für eine Flasche eines Safts "XY-unbekannt" aus den Tropen 100 Mark auf den Tisch legen kann.
Wäre ich Händler für Nahrungsergänzungsmittel, würde ich jetzt sagen: "Sehen Sie, und heute haben wir eben die Frucht "XY", da ist es genauso. Deswegen müssen Sie die jetzt kaufen."
... und schon wären Sie mir auf den Leim gegangen.
Die Seeleute wurden auf See krank, weil sie auf See waren, weitab jeder Quelle für frische Nahrungsmittel. Das Wort "Schiffszwieback" kommt nicht von ungefähr...
Die Seeleute wären sehr wohl gesund geblieben, wenn sie weiterhin frisches Obst und Gemüse gehabt hätten, wobei Kohl zu dem ganz besonders gesunden Gemüse gehört. Aber damals hatte man keine Möglichkeit, diese Mengen Nahrungsmittel zu konservieren, vor allem nicht für so lange Zeit. Das "Einwecken" war noch nicht erfunden, Menschenleben nichts wert - so opferte man eben pro Jahr mehr als 1/10 der Matrosen. Es gab ja genug davon...
Haben Sie meinen Trick erkannt? Ich will Ihnen den gerne verraten: Ich habe Dinge verglichen, die man SO nicht vergleichen darf.
Wie funktioniert der Trick?
Sehr einfach: Ich habe Sie geködert mit einer reißerischen Überschrift über ein brenzliges Thema. Dann sind Sie interessiert, hören zu bzw lesen weiter - und werden Stück für Stück immer weiter an Punkte geführt, wo Dinge verglichen werden, die man (aus welchen Gründen auch immer) nicht mit einander vergleichen darf.
Meist sind es Rückgriffe auf Orte, Zeiten oder Dinge/Vorgänge, die weitab sind, unerreichbar, längst vorbei. Haben Sie erkannt, daß das Problem der Seeleute war, daß die GAR KEINE frischen Lebensmittel hatten? Wahrscheinlich nicht. Haben Sie erkannt, daß die Seeleute damals in einer Zeit lebten, als Vitamine AN SICH noch völlig unbekannt waren? Vitamin C war, wenn ich mich nicht irre, eines der ersten Vitamine überhaupt, die man entdeckt hat - eben aufgrund der Erkenntnis, daß sich aus Citrusfrüchten etwas gewinnen läßt, das gegen Skorbut hilft. Skorbut, das ist eine Krankheit. Kommt Ihnen der Name "Ascorbinsäure" vom Klang nicht irgendwie ähnlich vor? So ist es!: A-SCORBin-säure ist a (= "anti"), ist gegen SKORBut...
Auf Englisch sieht man es noch deutlicher : "a-scorbic acid"...
Zur Zeit des Skorbuts WUSSTE man nicht, was man heute weiß. Damals wußte man weder um Vitamin C, noch um die Analyse-Möglichkeiten, noch um die Gehalte von Vitamin C in den verschiedenen Nahrungsmitteln, noch um Konservierung. Wäre ich Vitamin-C-Dealer, könnte ich satte Umsätze einfahren... Und Sie würden nicht merken, wie ich Sie aufs Glatteis führe...
Noch einmal: Zum Trick gehört es, ständig Dinge zu bringen, von denen der Leser/Zuhörer nichts weiß, also nicht vergleichen kann.
Das ist weit mehr, als Sie auf den ersten Blick ahnen. Bei den Seeleuten sind es unter anderem:
Kommen wir nun, nachdem ich Sie ein bißchen verunsichert habe, zu einem anderen Beispiel, einem aktuellem, bei dem Sie - nunmehr vorgewarnt - sich hoffentlich nicht mehr so schnell täuschen lassen.
Also: Ich, als Ihr Vitamin-Dealer, komme zu Ihnen und zeige Ihnen meine Reklamebroschüre:
------------------------------------------------------------------------------- Broschüre: XY: Nährstoffkonzept "Ihre Gesundheit ist uns wichtig" Mikronährstoffmangel hat eine Ursache Wir müssen alle wichtigen Mikronährstoffe mit der Nahrung auf- nehmen, denn im Gegensatz zu Pflanzen können wir z. B. keine Vitamine neu synthetisieren. Doch die Nahrungsmittel, die wir zu uns nehmen, enthalten oft nicht genügend Mikronährstoffe. Grund ist unter anderem die industrielle Herstellung, bei der Mikronährstoffe verloren gehen. Beispiele für den Verlust von Nährstoffen bei Herstellungsverfahren, Lagerung und Vorbereitung Lebensmittel Verarbeitung Nährstoffe Verlust ----------------------------------------------------------------------------- Hüsenfrüchte Gekocht Kupfer, Eisen, Zink 15-30% Fisch Eingedost B-Vitamine 70% Milch Pasteurisiert Vitamin-C und B-Vitamine 10-25% Rindfleisch Gebraten Vitamin B1, B6, Pantothensdure 35-60% Schweinefleisch Gebraten Kalium, Magnesium 25-30% Gemüse Gekocht Vitamin B1, B2, Folsäure, Vitamin C 50-75% Gedämpft Vitamin B1, Folsäure, Vitamin C 30-40% Vollkornteigwaren Gekocht Eisen, Magnesium, Kalium 25-40% Reis, poliert Gekocht Vitamin B1, B2, B6 50% Nach: Nutritional Evaluation of Food Processing. Karmas E., Harris, R.S. (Eds.) 3.Aufl. New York, AVI Publishing 1988, Biesalski, H.K. et al. (Eds.): Vitamine. Georg Thieme Verlag. Stuttgart 1997. Auch die geänderten Lebensgewohnheiten hinterlassen in unserem Körper Spuren. Stress, Zeitmangel, Leistungsdruck und Umweltschadstoffe bestimmen unser heutiges Leben, ihnen sind wir fast jeden Tag ausgesetzt. Diese Faktoren sind es unter ande- rem, die unseren Bedarf an Mikronährstoffen erhöhen. Bekommt unser Körper diese Nährstoffe nicht, so werden die körpereigenen Reserven verbraucht. Sind auch diese Speicher geleert, so können die Zellen nicht mehr richtig arbeiten: die Leistungsfähigkeit unseres Körpers nimmt ab, wir fühlen uns abgeschlagen oder werden auch häufiger krank. -------------------------------------------------------------------------------
Haben Sie alle Fallen und Tricks erkannt?
Wie gut, meinen Sie, schneiden Sie bei diesem Test ab...?
Frage: Glauben Sie das?
Frage: Gibt es ÜBERHAUPT einen "Mikronährstoffmangel"? Und, falls ja: bei wem? Und wann? Unter welchen Umständen?
Denken Sie zurück an die Seeleute. Hatten die einen "Mikronährstoffmangel"?
Ganz klar, die hatten einen Ernährungsmangel. Aber worin der im DETAIL bestand, DAS können Sie gar nicht so genau sagen. Gut, wir wissen heute, daß es ein Mangel an Vitaminen war. Wurde der ausgeglichen, ging es ihnen MESSBAR besser. Aber war es ein "Mikronährstoffmangel"???
Wie äußert der sich eigentlich, der "Mikronährstoffmangel"? Haben Sie dazu Fakten? Nein. Haben Sie Quellen? Nein. Hilft Ihnen die Tabelle, die ich Ihnen gezeigt habe? Nein.
Die Tabelle ist für ein ganz anderes Thema: für NahrungsmittelZUBEREITUNG.
Sehen Sie, prompt sind Sie mir auf den Leim gegangen. Da habe ich doch glatt Dinge mit einander in einen Vergleich gebracht, den man SO nicht machen darf...
Ein weiterer Punkt: Ich habe behauptet:
------------------------------------------------------------------------------- Sind auch diese Speicher geleert, so können die Zellen nicht mehr richtig arbeiten... -------------------------------------------------------------------------------
Frage 1: Wie lange hält eine Speicherfüllung vor?
Frage 2: Gibt es überhaupt Speicher!?
Na, sind Sie von selbst auf diese Fragen gekommen...???
Und weiter:
Frage 3: Kann man die Speicher wieder füllen?
Frage 4: Falls ja: Womit ? Wie oft? In welchem Zustand?
Frage 5: Werden alle Stoffe auf die gleiche Weise und gleich lange gespeichert?
Als Laie hat man da nicht viel zu melden...
Aber das macht ja nichts, denn ich habe doch Fachleute bei der Hand, siehe meine Literaturangabe.
Kennen Sie die? Nein. Nützt Ihnen die etwas? Nein. Aber sie macht Eindruck...
Eindruck? Warum? Weil sie wissenschaftlich ist. Sonst würde ich die ja wohl nicht zitieren. Oder doch?
------------------------------------------------------------------------------- Grund ist unter anderem die industrielle Herstellung, bei der Mikronährstoffe verloren gehen. -------------------------------------------------------------------------------Frage: Machen Sie in Ihrer Küche industrielle Herstellung? Falls nein: Betrifft Sie das alles dann überhaupt???
------------------------------------------------------------------------------- Beispiele für den Verlust von Nährstoffen bei Lagerung und Vorbereitung -------------------------------------------------------------------------------
Beispiele für WAS FÜR WELCHE Herstellungsverfahren?
Beispiele für WAS FÜR WELCHE Lagerung?
Beispiele für WAS FÜR WELCHE Vorbereitung?
Fragen über Fragen. Und was paßt wozu? Und falls überhaupt?: Was paßt zu IHNEN???
Jetzt zur Tabelle an sich:
------------------------------------------------------------------------------- Lebensmittel Verarbeitung Nährstoffe Verlust ----------------------------------------------------------------------------- Hüsenfrüchte Gekocht Kupfer, Eisen, Zink 15-30% Fisch Eingedost B-Vitamine 70% Milch Pasteurisiert Vitamin-C und B-Vitamine 10-25% Rindfleisch Gebraten Vitamin B1, B6, Pantothensdure 35-60% Schweinefleisch Gebraten Kalium, Magnesium 25-30% Gemüse Gekocht Vitamin B1, B2, Folsäure, Vitamin C 50-75% Gedämpft Vitamin B1, Folsäure, Vitamin C 30-40% Vollkornteigwaren Gekocht Eisen, Magnesium, Kalium 25-40% Reis, poliert Gekocht Vitamin B1, B2, B6 50% -------------------------------------------------------------------------------
Wieviel dieser "Nährstoffe" können Sie überhaupt aus der ROHEN Nahrung jeweils aufnehmen?
Was ist, wenn diese Dinge nicht gekocht sind? Haben Sie schon mal rohen Reis gegessen?
Oder Hülsenfrüchte? Was ist mit rohen Bohnen?
Rohe Bohnen sind tödlich...
Peng, Volltreffer, und du bist tot. Nicht mal so weit hergeholt, denn vor mehreren Jahren (gar nicht lange her!) gab es auf einer Veranstaltung von Naturfreunden einen Salat aus rohen Bohnen. Die Opfer kamen knapp davon...
Sehen Sie, wieder ein typischer Fall, wo Dinge mit einander verglichen werden, die SO nicht mit einander verglichen werden dürfen. Der Wert für "Verlust" bezieht sich auf Rohmaterial, das Sie roh eben nicht essen würden. Erstens hält das niemand lange aus, weil Gekochtes eben besser schmeckt, und zweitens ist so allerlei roh giftig, KANN also roh gar nicht verzehrt werden. Oder nur ein Mal...
WENN, dann dürfte man nur die verschiedenen NOTWENDIGEN Zubereitungsarten MIT EINANDER vergleichen. Haben Sie das gewußt...???
Wie ist das eigentlich, wenn eine Kartoffel nicht genug Nahrung für Sie ist? Was tun Sie dann? Sie essen zwei...
Das ist sogar ÜBLICH! Wußten Sie das...???
Doch, das stimmt. Es gibt viele Menschen, die essen nicht nur eine Kartoffel.
Und, erstaunlich, aber wahr: deren Magen hält das aus. Genau genommen ist der sogar dafür GEMACHT, daß man mehr ißt als nur einen Apfel oder eine Kartoffel.
Wenn also Nahrung aufgenommen wird, müßte man doch vor allem wissen, WIEVIEL von einem Stoff man pro Tag aufnehmen muß. Selbst wenn es in einer zubereiteten Nahrung nur 1/100 der ursprünglich im Rohmaterial vorhandenen Menge eines "Nährstoffs" gibt, kann das noch immer mehr als genug sein, mehr als die Tages- oder Wochenration eines Menschen.
Sagt also die Tabelle etwas über die REAL aufgenommenen Nährstoffmengen aus? Nein. Sagt sie etwas über die NOTWENDIGE Rationen aus? Nein.
Ich könnte jetzt noch mehr Tabellen bringen. Zum Beispiel eine Aufstellung, daß in einer Tablette "XY" soundsoviel Prozent der empfohlenen Tagesration für einen erwachsenen Menschen ist für den Nährstoff X oder für den Nährstoff Y, oder für Z. Aber sagt das etwas darüber aus, ob Sie ÜBERHAUPT eine Tablette einnehmen sollten? Nein. Nein, weil Sie essen und mit dem Essen schon Vitamine und so weiter zu sich nehmen.
Etwas anderes wäre es natürlich, wenn Sie NICHT äßen. Aber in dem Fall brauchten Sie sowieso etwas GANZ ANDERES, müßten unter ärztlicher Überwachung stehen und unter Umständen "Astronautennahrung" zu sich nehmen.
Wären dann die Tabletten etwas für Sie? Nein, denn die hier sind frei verkäuflich und werden Ihnen ZUSÄTZLICH, als NahrungsERGÄNZUNG angeboten...
Wie angekündigt (ich hatte Sie ja gewarnt, ich bin hier der Vitamin-Dealer!), ist das Ganze eine Reklame: für Nahrungsergänzungsmittel. Eine nicht gerade kurze Liste von Fallen und Tricks habe ich Ihnen gezeigt. Wieviele davon haben Sie erkannt...?
Nun meine letzte Frage: Habe ich mir diese Reklame ausgedacht oder ist die echt?
Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker...!
Aribert Deckers
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