"Die Patienten werden sich selbst überlassen"


9.8.2001
24.5.1999

Dieser Artikel wurde mir freundlicherweise von der Autorin, Danièle Weber, und vom TAZ-Verlag zur Veröffentlichung auf meiner Web-Site zur Verfügung gestellt.

Das Original ist im WWW nicht mehr verfügbar. Deswegen als neue Quellenreferenz: die Homepage der TAZ: http://www.taz.de/


Der Umweltmediziner Kurt Müller fordert ein Umdenken in der Gesundheitspolitik

taz: Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe der EU-Kommission kam in ihrem Bericht zu dem Schluß, daß Zahn-Amalgam "keine inakzeptablen Gesundheitsrisiken für die allgemeine Bevölkerung" darstellt. Hat Sie das überrascht?

Kurt Müller: Nein, prinzipiell nicht. Eine Kommission kann nur die Gedanken entwickeln, die ihre Mitglieder einbringen. Und kritische Wissenschaftler waren dort stark unterrepräsentiert.

Wie schätzen Sie die Gefahr ein, die vom Amalgam ausgeht?

Belegt sind unter anderem Auswirkungen auf die Gefäßwände, die Verursachung von entzündlichen Abläufen, die Einschränkung der Leistungsfähigkeit von Enzymsystemen etc. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, daß vor allem bei chronischer Belastung ein Risiko besteht. Es ist schwer, diese Gefahr genau einzuschätzen. Die Methoden, die wir bisher gewählt haben, wurden meist von akut toxischen Schäden abgeleitet. Ergebnisse aus der jüngsten Forschung zeigen jedoch, daß das ein Fehler war. Denn eine chronische Belastung hat einen eigenen Krankheitscharakter mit zum Teil ganz anderen Beschwerden.

In einer rezenten Studie wollen deutschen Psychologen herausgefunden haben, daß nicht das Amalgam, sondern die Psyche verantwortlich für die Beschwerden der von ihnen untersuchten Amalgam-Patienten war.

"Psychisch krank" ist nicht eindeutig definiert. Die Psychiatrie ist, wenn Sie so wollen, die einzige "legale Erfahrungsheilkunde": Sie kann aufgrund von Schilderungen eine verbindliche Diagnose formulieren. Für den Rest der Medizin gilt es jedoch, funktionelle Störungen beim Patienten nachzuweisen. Solche Nachweise gibt es inzwischen auch für Amalgam-Geschädigte: Meine Untersuchungen ergaben, daß diese Patienten veränderte Hirnfunktionsbilder zeigen. Vergleichbare Untersuchungen wurden jedoch in der von Ihnen erwähnten Studie nicht gemacht.

Wie erklären Sie diese Veränderungen?

Wir wissen heute, daß beispielsweise die Zytokonine, die unter anderem für die Zellinformation verantwortlich sind, durch ständige Metallzufuhr verändert werden. Das heißt auch, daß das Gehirn und damit auch die Psyche nach und nach Informationen erhält, die sich von früheren deutlich unterscheiden. Eine solche "Erkrankung" der Informationswege ist für mich die Erklärung für moderne Umweltkrankheiten schlechthin.

Neunzig Prozent der Bevölkerung in Europa trägt Amalgam im Mund. Die Befürworter führen gerne das Argument an: Sollten diese Zahnfüllungen wirklich so schädlich sein, müßten viel mehr Menschen krank sein.

Möglicherweise ist das Problem auch viel größer als bisher angenommen. Die 240 Patienten, die ich untersucht habe, waren zunächst alle als psychisch krank eingestuft. Amalgam-Fälle finden sich in allen Disziplinen wieder. Dazu kommt, daß Belastungen durch Amalgam sich je nach genetischer Disposition individuell sehr unterschiedlich auswirken. Was auch erklären kann, warum einzelne schwer erkranken, während andere keine Probleme haben.

Es ist heute schwer, den sogenannten "aktuellen wissenschaftlichen Stand" zusammenzufassen. Nach zehn Jahren Kontroverse wissen viele PatientInnen nicht mehr, was sie glauben sollen.

Die Art und Weise, wie die Auseinandersetzung zur Zeit geführt wird, ist eigentlich nicht korrekt. Die Patienten werden sich selbst überlassen. Solange wissenschaftlich das letzte Wort nicht gesprochen ist, sollte vielmehr der risikoarme Weg gewählt werden. Statt dessen gehen wir - und das nicht nur beim Amalgam - den gefährlichen Weg. Diese Einstellung hat ganz wesentlich zur Kostenexplosion im Gesundheitswesen beigetragen.

Alternativen für einen risikoarmen Weg müssen jedoch erst einmal vorhanden sein.

Zugegeben: Die Alternativen zum Amalgam sind heute noch nicht zufriedenstellend entwickelt. Man sucht jedoch besser danach, wenn man den alten Weg verlassen hat. Gerade für die Wirtschaft ist es wichtig, daß ein gewisser Druck vorhanden ist. Wenn dieses Umkehren im Denken nicht stattfindet, werden wir Gesundheit in Zukunft nicht finanzieren können.

Interview: Danièle Weber

taz Nr. 5752 vom 3.2.1999 Seite 17 130 Zeilen
Interview Danièle Weber

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