Datum: 30.04.2000 01:17:14 Autor: Udo Teichmann ©
Herrn Udo Teichmann


Laura: Meinungsfreiheit an sich?
   
Hallo Laura,

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Laura würde immer laut protestierten, wenn jemand wegen einer Meinung verfolgt würde. Aber, Herr Teichmann, niemand verfolgt Sie wegen Ihrer Meinung in Deutschland, denn es geht hier um die Meinungsfreiheit in Deutschland und nicht in China. Und die in Deutschland sehe ich wirklich nicht in Gefahr, weil die CDU-Redaktion Beiträge löscht.
---tatiZ---

Im vorherigen Beitrag meinten Sie schon, es gehe nicht um die "Meinungsfreiheit an sich". Jetzt meinen Sie, es gehe um die "Meinungsfreiheit in Deutschland" - die Sie durchaus nicht gefährdet sehen, wenn die CDU-Redaktion Beiträge löscht.

Es gibt keine "Meinungsfreiheit an sich" und auch nicht einen Generalkörper wie die "Meinungsfreiheit in Deutschland". Meinungsfreiheit wird bei uns immer nur im Konkreten, im für sich genommen relativ harmlosen Einzelfall verletzt. Es gibt keine Pauschalverletzung der Meinungsfreiheit "an sich". Meinungsfreiheit ist nämlich keine Sache, kein Zustand - sondern ein dynamischer Prozeß, ein kompliziertes Projekt demokratischer Teilhabe, das deshalb auch immer nur in seinen einzelnen kleinen Schritten sichtbar - und verletzbar wird.

Die Meinungsfreiheit in Artikel 5 unserer Verfassung ist nicht nur ein einklagbares Grundrecht des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern vor allem eine Wertentscheidung des Grundgesetzes für den demokratischen Diskurs als Medium von öffentlicher Willensbildung und Machtkontrolle. Deshalb ist dieses Grundrecht konstitutiv für unsere Demokratie. Deshalb darf für uns Demokraten die Achtung der Meinungsfreiheit nicht nur Unterdisziplin des Verwaltungsrechts gegenüber staatlichen Stellen bleiben, sondern wird selbstverständliche Konsequenz der Demokratie, die für viele von uns doch längst zur freudig angenommen alltäglichen Lebensform geworden ist.

Wo aber Demokratie Lebensform, Fundament des Lebensstils geworden ist, da bleibt die Meinungsfreiheit eben nicht nur formales Menschenrecht, das der Staat nicht verletzen darf, sondern da gehört Meinungsfreiheit zu den nicht unterbietbaren Selbstverständlichkeiten im öffentlichen Umgang miteinander. Dafür gibt es oft noch nicht genug Sensibilität. Allzuleicht wird Meinungsfreiheit noch oberflächlich als Spielwiese zum Dampfablassen abgetan. Das aber ist nur die Narrenfreiheit, die kluge Despoten ihren Untertanen zubilligen, um sie ruhigzustellen. Demokraten lassen sich so nicht abspeisen.

Mit freundlichen Grüßen
Udo Teichmann