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Warum ich es gemacht habe? Ich gestehe, ich bin ein unbelehrbarer alter Linker, der niemals verstanden hat, wie Dekonstruktion der
Arbeiterklasse helfen sollte. Und ich bin ein dickköpfiger alter Wissenschaftler, der naiverweise glaubt, dass es eine Außenwelt gibt, dass es objektive Wahrheiten über diese Welt existieren, und dass mein Job ist,
einige von ihnen zu entdecken.
--~Allan Sokal
In seiner Ausgabe Frühjahr/Sommer 1996 (S. 217-252) veröffentlichte das (linke politisch-kulturelle US-) Magazin
Social Text einen Artikel von Allan Sokal, Professor für Physik an der New Yorker Universität, mit dem Titel:
Transgressing the Boundaries: Towards a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity. Der Artikel war ein Schwindel, laut Sokal, eingereicht, um zu sehen, ob "eine führende Zeitschrift für Kulturwissenschaft einen Artikel
veröffentlichen würde, der freimütig mit Unsinn gewürzt war, wenn a) er sich gut anhörte und b) er den ideologischen Voreinstellungen der Herausgeber schmeichelte?" Sie würde. Übeflüssig zu sagen, dass die Herausgeber
von Social Text nicht erfreut darüber waren.Sokal meint, dass die Herausgeber, wären sie sorgfältig und intellektuell kompetent gewesen, schon vom ersten Abschnitt seines Aufsatzes erkannt hätten,
dass es sich um eine Parodie handelte. Der Physiker sagt, er sei "besorgt über einen erkennbaren Niedergang in den Standards intellektueller Sorgfalt in einigen Abteilungen der geisteswissenschaftlichen Fakultäten
Amerikas." Der Schwindel war seine Art, auf diesen Niedergang hinzuweisen. In seinem Artikel attackiert Sokal "das Dogma, das von der langen Post-Aufklärungshegemonie der westlichen intellektuellen Wahrnehmung
aufgezwungen wurde", es gebe eine Außenwelt, die von Naturgesetzen beherrscht werde, die wir auf unvollkommene Weise verstehen können, indem wir die wissenschaftliche Methode anwenden. Er behauptet ebenfalls, dass die
"physikalische 'Wirklichkeit' [...] im Grunde ein soziales und linguistisches Konstrukt ist". Darüber hinaus, so Sokal,
Den ganzen Artikel hindurch verwende ich wissenschaftliche und mathematische Konzepte auf eine Weise, die nur wenige Wissenschaftler und Mathematiker ernst nehmen würden. So behaupte ich, dass das
"morphogenetische Feld" - eine bizarre New Age-Theorie von Rupert Sheldrake - eine hochaktuelle Theorie der Quantengravitation darstellt. Diese Verbindung ist eine reine Erfindung; auch Sheldrake stellt keine solche
Behauptung auf. Ich stelle fest, dass Jacques Lacans
psychoanalytische Spekulationen durch neue Arbeiten im Bereich der Quantenfeldtheorie bestätigt wurden. Sogar ein Nichtwissenschaftler dürfte sich mit Recht fragen, was in Gottes Namen Quantenfeldtheorie mit Psychoanalyse zu tun hat; mein Artikel gibt mit Sicherheit kein sinnvolles Argument für eine solche Verbindung.
Zusammenfassend gesagt schrieb ich den Artikel so, dass jeder kompetente Physiker oder Mathematiker (oder Studenten dieser Fächer) erkennen würde, dass es sich um eine Parodie handelt. Offenbar empfanden die
Herausgeber von Social Text es als angemessen, einen Artikel über Quantenphysik zu veröffentlichen, ohne sich die Mühe zu machen, irgendjemanden zu konsultieren, der sich mit dem Thema auskennt.
Eine derart oberflächliche Herausgebertätigkeit dürfte man von einem New Age-Magazin erwarten, in dem lächerliche und unbegründete Behauptungen über paranormale "Energien", die von der Quantenmechanik bestätigt
werden, üblich sind. Doch Sokal ist der Auffassung, man sollte mehr von einem prestigeträchtigen Magazin erwarten, das von anerkannten Geisteswissenschaftlern herausgegeben wird. Aber warum ausgerechnet Sokal Text
als Opfer des Schwindels? Sokal wählte diese Zeitschrift aus politischen Gründen aus. Sowohl er als auch Social Text sind politisch "links", aber Sokal hält die Neue Linke des "epistemischen Relativismus" für
schuldig (noch ein Gag?). Er scheint sich insbesondere darüber zu ärgern, dass die Neue Linke die Idee verbreitet, die Wirklichkeit sei ein soziales Konstrukt. Außerdem habe die Neue Linke eine "selbstlaufende
akademische Subkultur erschaffen, die üblicherweise vernünftige Kritik von außen ignoriert (oder verachtet)." Also wollte Sokal offenbar den "epistemischen Relativismus" und den "sozialen Konstruktivismus" der Neuen
Linken in einer Zeitschrift der Neuen Linken kritisieren, hatte aber das Gefühl, dass er damit nur durchkommen würde, wenn er vorgäbe, ihre Ideologie zu teilen. Viele Beobachter haben auf die tiefgreifenden
Implikationen dieses Schwindels hingewiesen. Zum Allermindesten sollte jeder Artikel von Experten in dem Bereich durchgesehen werden, von dem der Artikel handelt. Im Artikel verwendete Quellenangaben und Verweise
sollten von den Herausgebern überprüft werden. Vor allem aber stellt der Sokal-Schwindel dar, wie bereitwillig wir uns in Dingen täuschen lassen, an die wir glauben. Wir neigen dazu, wesentlich kritischer mit Artikeln
umzugehen, die unsere Überzeugungen angreifen als mit solchen, von denen wir meinen, dass sie sie unterstützen. Diese Neigung zur Bestätigungsvoreingenommenheit gilt für Physiker genau wie für Professoren der Geistes-
und der Sozialwissenschaften. Lektüre (deutsch)
Sokal, Allan/Bricmont, Jean: Eleganter Unsinn. dtv, München 2000. Lektüre (englisch) The Sokal Incident
- Everything on the Internet relating to this hoax.
Gilovich, Thomas. How We Know What Isn't So: The Fallibility of Human Reason in Everyday Life (New York: The Free Press, 1993). |