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Leserbrief zu "Warten auf Handke", ZEIT, ehedem 24.11.95

In Deutschland (und drumherum) geht das Wehklagen um: Die deutschen Abiturienten können nichts. Besonders ihre Muttersprache malträtieren sie furchtbarst: Grammatik und Orthographie tief unten auf dem absteigenden Ast.

Da kömmt ein Lichtschein: Gottfried Böhme sinniert über Inhalte des Deutschunterrichts. Herr Böhme ist nun nicht irgendwer, sondern er ist Lehrer. Leider auch für das Fach Deutsch: "Das Fach Deutsch gerät dann in die Krise, wenn wir das Eigentliche dieses Fachs, die Fähigkeit, einem Text eine Bedeutung zu geben, ihn zu verstehen, einen Sinn in ihm zu erkennen, nicht mehr in den Mittelpunkt stellen." Sagt er.

Ich erinnere mich an die düsteren Stunden, die auch ich absitzen mußte in meiner Schulzeit, wo sich die Damen und Herren Lehrer ergingen in das allseits bekannte "Was will uns der Autor damit sagen ?", wo sie dann die abstrusesten, perversesten, hirnverbranntesten Ideen zelebrierten - und wir Schüler mußten zu alledem "ja" (und bloß nicht "Amen") sagen, auch immer genau das schreiben und sagen, was der ehrenwerte Herr Lehrer sehen und hören wollte - wäre doch sonst die Note in Gefahr gewesen. Die einzig sinnvolle Frage "Wußte der Autor das auch schon!?" wagte niemand zu stellen.

War es nicht Enzensberger, der (ausgerechnet in der ZEIT!) über die Interpretations-Pathologie der Lehrer schrieb ?

Um es Herrn Böhme und all den anderen einmal deutlichst ins Stammbuch zu schreiben: Wer des Deutschen fähig sein will, der muß schreiben und lesen, zuhören und sprechen können! Das "Eigentliche des Fachs" sind nicht pathologische Interpretationsgelüste, sondern Ausdrucksfähigkeit, Sprachgefühl, Wortschatz. Das Erziehen zu stupidem Nach-Geifern des vom Lehrer vorexerzierten "Was will uns der Autor damit sagen!?" ist eines der schlimmsten Stücke nazi-reifer Leistungen, die uns auch heute noch verfolgen, Kindheit und Jugend verpesten.

Die Meinung Böhmes, daß Deutsch ein Ideologiefach war, ist leider grundlegend falsch. Auch im Westen wurde und wird es grundsätzlich ganz gezielt eben dazu mißbraucht, Ideologien zu verbreiten, unter dem Deckmantel des Lehrens der Sprache Deutsch.

Wer Deutsch nicht konnte, bevor er diesen gloriosen Interpretationskult durchleiden muß, der wird es durch ihn auch nicht besser können. Von 12 oder 13 Jahren Deutschunterricht in der Schule sind mindestens 6 Jahre verlorene Zeit. Selbst Bücher in der Bibliothek zu suchen, selbst zu lesen, selbst zu entscheiden, selbst zu denken - das prägt die sprachlichen Fähigkeiten weitaus mehr als die Lehrer es können. Gott sei Dank! Doch: Wer wird das tun, wenn ihm das Lesen in der Schule so grauenhaft verleidet wird!?

Mit freundlichem Gruß

anonym

e-Mail: sfb@ariplex.com

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